CCC-CH ruft zum Boykott vom E-Voting-Stimmkanal auf und fordert statistisch kontrolliertes E-Counting
Liebe Medienschaffenden
Liebe Demokratie
Der Chaos Computer Club Schweiz (CCC-CH) ist eine Hackerorganisation, die nicht blindlings Computern traut: stattdessen eignen wir uns vertieftes Wissen darüber an und beobachten die Entwicklungen genau.
Das Internet wird angegriffen und ist unsicher
Seit 2013 ist mit den Enthüllungen von Edward Snowden und WikiLeaks (z. B. Vault7-Series) offenkundig, dass ein grossangelegter Infrastrukturangriff auf das Internet stattfindet. Wenn man etwas aus diesen Enthüllungen mitnehmen kann, dann dies: gibt es zehn Angriffswege, werden alle zehn genutzt. Die konkrete Ausführung ist eine Kosten-Nutzen-Frage.
Schliesst ein Land kritische Infrastrukturen ans Internet an, ist mit einem Angriff jederzeit zu rechnen. Schliesst die Schweiz amtliche Endergebnisse ans Internet an, muss das als grobfahrlässig betrachtet werden. Mit einem Angriff einschliesslich Kontrollübernahme ist wenn nicht früher, so später, zu rechnen.
Bundesrat und Bundeskanzlei forcieren Verbreitung von Computerwahlen
Bundesrat und Bundeskanzlei arbeiten seit 17 Jahren am Projekt E-Voting. 2017 hat der Bundesrat bekanntgegeben, dass er sogar prüft, den elektronischen Abstimmungskanal weitestgehend zu «dematerialisieren», d. h. papierlos zu gestalten. Angesichts der verletzlichen ICT-Grundlagen ist das ein ungeheuerlicher Vorgang.
Aktuell haben unter https://www.evote-ch.ch sechs Kantone die Möglichkeit, auf einer zentralisierten Plattform des Kantons Genf elektronische Stimmabgaben zu tätigen. Weitere Kantone stimmen auf einem System der Schweizerischen Post ab. Natürlich wissen auch wir nicht, ob die diesbezügliche Infrastruktur nicht schon von vornherein verwanzt wurde – ausgeschlossen ist dies nicht. Es kann auch nicht leicht nachgewiesen werden. Der Bürger kann weder die eingesetzte Hard- noch Software kontrollieren. Er ist auf die Behauptungen und Beteuerungen der Lieferanten und Betreiber angewiesen. Auf jeden Fall ist anzunehmen, dass viele Endgeräte der Nutzer verletzlich sind für Trojaner und andere Schadsoftware. Unter solchen Bedingungen lässt sich keine Demokratie aufbauen. Weder ist die unmittelbare Nachvollziehbarkeit der Abstimmung für die Bürger möglich, noch kann der zentralen E-Voting-Plattform getraut werden: dafür gibt es keine Grundlage. Es kann nicht sein, dass Bürger derart komplexen Systemen blind glauben müssen und der Hoffnung ausgesetzt werden, alles sei stimmig (vgl. auch die Stellungnahme des CCC-CH-Hackerspaces Coredump in Rapperswil-Jona).
Aufruf zum Boykott des E-Voting-Stimmkanals
Am 4. März stehen wichtige Vorlagen an, die hohe Bedeutung für die Schweiz haben. Es kann nicht sein, dass Bürger ein Stimmkanal zur Verfügung gestellt wird, der auf derart unsicherer und fragiler Grundlage fusst.
Wir fordern Bürgerinnen und Bürger der Kantone mit Möglichkeit zur E-Voting-Stimme entsprechend auf, den Stimmkanal zu boykottieren und stattdessen den Weg über die Urnenwahl zu gehen. Bürgerinnen und Bürger, die mit E-Voting abgestimmt haben und den Abstimmungskanal ebenso in Frage stellen, sind aufgefordert, Stimmrechtsbeschwerde zu erheben – von den entscheidenden Instanzen ist zu verlangen, dass das E-Voting-Verfahren in seiner Natur geprüft werde.
Papierwahlen sind einfach und robust
Bei der Papierwahl können sich Bürger vor Ort ein Bild über den Prozess der Auszählung machen. Sie können sich überdies darauf verlassen, dass eine Nachzählung gewahrt ist, solle es zum Verdacht einer Manipulation kommen. Menschen auch ohne nähere Fachkenntnisse wissen genau, wie man Kreuze malt und zählt. Die diesbezüglichen Prozesse sind kinderleicht gestrickt und in den Einzelschritten für jede interessierte Person nachvollziehbar. Ähnliche Transparenz ist bei E-Voting nicht gegeben. Eine Nachzählung ist im Verdachtsfall zudem ausgeschlossen.
E-Counting nur mit statistischer Kontrolle
Zusätzlich setzen Städte wie Bern, Basel und St. Gallen Systeme zur automatischen Auszählung der Stimmzettel ein – sogenanntes E-Counting. Ein parlamentarischer Bericht hat zu Tage gefördert, dass diese Prozesse mangelhaft sind. Insbesondere wurde in der Vergangenheit vielfach keine (ausreichende) Stichprobe zur statistischen Kontrolle der automatisierten Auszählung erhoben. Da gemäss Bericht schweizweit 10% der Papierstimmen derart ausgezählt werden und die automatische Auszählung als nicht genauer als die händische Auszählung kritisiert wird, ist Vertrauen in die Richtigkeit der Ergebnisse nicht berechtigt. Insbesondere ist nicht ausgeschlossen, dass die seit Jahren eingesetzten Systeme manipuliert sind, um andere Summen zu rechnen.
Wir fordern die Städte mit E-Counting auf, statistisch relevante Stichproben zu erheben und Bürgerinnen und Bürger dieser Städte sind aufgefordert, wachsam zu sein. Bei Verdacht auf mangelhafte Prozesse der automatischen Auszählung sollte Stimmrechtsbeschwerde erhoben werden, um eine manuelle Nachzählung zu forcieren.
Bundeskanzlei muss E-Voting-Projekt stoppen – Volksinitiative in Arbeit
Wie aus jüngsten Medienberichten entnommen werden kann, werden Aktivisten des CCC-CH Teil eines Initiativkomitees sein, um transparente und nachvollziehbare Stimmkanäle in der Schweiz zu bewahren. E-Voting wird der CCC-CH resolut bekämpfen. Unser Verband erachtet Computerwahlen als weder nötig, sicher noch vertrauenswürdig: dafür wissen wir zu viel über Computer und die mannigfaltigen Möglichkeiten, Hard- und Software-Komponenten systematisch zu unterwandern. Es steht zu viel auf dem Spiel: die Kontrolle über wesentliche Richtungsentscheide der Schweiz. Wird das Auszählungsverfahren ohne jede Möglichkeit der Nachzählung ins Innere von Computer(-Netzwerken) verlagert, ist die Demokratie in Gefahr.
Wir fordern die Bundeskanzlei entsprechend auf, jedwede Versuche mit E-Voting sofort einzustellen und das Projekt zu beenden. Der Unterschriftenstart für eine Volksinitiative, um diesen Stimmkanal auszuschliessen, startet andernfalls im Sommer.
Immer mehr Länder schaffen E-Voting ganz ab
In Europa sind Deutschland (2009) – im Kontext von CCC-Hacks von Wahlcomputer und Wahlstift, Norwegen (2014) – nach ständigen Hacks der Software und zehnjährigen Tests, Frankreich (2017) – aus Angst vor Cyberangriffen, und Finnland (2017) – in Feststellung von E-Voting als Hochrisikoprojekt, unlängst zum Schluss gekommen, dass Computerwahlen abzulehnen sind. Es kann nicht sein, dass die Richtigkeit der Ergebnisse von der korrekten Funktionsweise von Computersystemen abhängt, die weder Bürger noch Betreiber noch Bundeskanzlei sinnvoll kontrollieren können. Dafür ist die Komplexität viel zu hoch. Das Risiko ist weder kontrollierbar noch kalkulierbar.
E-Voting gefährdet durch Misstrauen die Schweizer Demokratie
Bei E-Voting reicht die blosse Behauptung einer Manipulation aus, um breites Misstrauen in die Richtigkeit der Gesamtergebnisse zu schüren. Durch die Unmöglichkeit, die Wahl transparent nachzuzählen und angesichts der Tatsache, dass jede Person die E-Voting-Plattformen mit Überlastungsangriffen (DDoS) stören kann, schafft E-Voting Probleme ohne Ende – diese gehen weit über technische Aspekte hinaus; die gesellschaftlichen Implikationen sind immens.
Wir dürfen die direkte Demokratie der Schweiz nicht leichtfertig aufs Spiel setzen: Intransparente Verfahren und nicht-vertrauenswürdige Ergebnisse sind Gift für das Vertrauen in das politische System. Ohne Vertrauen in die aggregierten Endergebnisse hört die Schweizer Demokratie faktisch auf zu existieren.
Wir möchten dazu beitragen, das Vertrauen in die Schweizer Demokratie zu erhalten.
Kontakt
Chaos Computer Club Schweiz
Hernâni Marques, Vorstand und Pressesprecher CCC-CH
E-Mail: presse@ccc-ch.ch (PGP: FA8A 8269 A4DF 0B4B 6636 1894 82EF E630 FF68 DE3E)
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